Oft war in unseren Artikeln bereits die Rede von der Chipkrise und wie diese das Geschäft vieler Tech-Konzerne bedroht. Einige Unternehmen gehen in ihren aktuellen Geschäftsberichten von einer Entspannung der Situation im Laufe des Jahres aus. Reinhard Ploss, Vorstandschef von Infineon (WKN: 623100), hat im Gespräch mit dem Handelsblatt nun Alarm geschlagen. Die weltweite Abhängigkeit sei innerhalb der Halbleiterindustrie zu groß. Das könnte zum Aufflammen immer neuer Krisenherde führen und beteiligte Unternehmen auch langfristig vor große Herausforderungen stellen. Die nächste Achillesverse des Sektors ist womöglich der Krieg in Ost-Europa. Die Ukraine ist als größter Neongas-Produzent der Welt ein wichtiges Zahnrad in der fein ausbalancierten globalen Chipproduktion.
Produktionsstopp in Odessa und Mariupol
Zwei Städte, von denen aufgrund des Ukraine-Krieges inzwischen wohl fast jeder einmal gehört hat, sind Mariupol und Odessa. Die zwei Hafen-Metropolen am südlichen Rand des Landes sind hart umkämpft. Zusammen haben beide vor dem Krieg etwa die Hälfte des weltweiten Bedarfs an Neongas produziert. Aufgrund der Kampfhandlungen wurde die Fertigung nun komplett eingestellt. Neongas ist ein Rohstoff, der heute essenziell für die Halbleiterproduktion ist. Chipkonzerne verwenden das Gas für die sogenannte Lithografie, in welcher Helium-Laser die Silizium-Scheiben belichten. Falls der Krieg im Land länger andauert, wird es weltweit zu ernsthaften Engpässen des Edelgases kommen. Somit ist die nächste Chipkrise quasi vorprogrammiert, während die letzte noch andauert.
Warum ist die Halbleiterproduktion so anfällig?
Über lange Zeit war die Versorgungslage für Halbleiter-Hersteller wie Infineon sehr zuverlässig. Dagegen spricht Ploss heutzutage von starken „Abhängigkeiten von einzelnen Materialien und Ländern“. Somit könne man „bestimmte Chemikalien nicht einfach so ersetzen“. Hinzu kommt eine stark spezialisierte Produktionskette. Von der Planung des Chips bis zum Verkauf des Endprodukts werden zwölf Schritte in bis zu sieben verschiedenen Ländern durchlaufen. Gibt es Probleme auf einer der Fertigungsstufen, dann wird das gesamte System ausgebremst.
Verstärkt wird dies noch durch die Zentralisierung auf wenige große Fabriken. Demnach sprechen Skaleneffekte „in der Chipindustrie dafür, einzelne Standorte auszubauen und sie nicht zu verteilen“. Hat sich diese Praxis in der Vergangenheit besonders durch günstige Preise ausgezahlt, wird sie nun zum „Dilemma“ für viele Beteiligte. In Malaysia schlossen mehrere sogenannte Back-To-End-Fabriken aufgrund der Corona-Pandemie. In der Folge mussten laut dem Handelsblatt große Auto-Konzerne wie Ford und Toyota ihre Produktion herunterfahren. Sie konnten wegen des Ausfalls eines einzigen Standorts ihre Fertigungshallen nicht mehr ausreichend mit wichtigen Chip-Produkten beliefern.
Europa und Infineon Aktie möchten unabhängiger werden
Um die Situation für Konzerne wie Infineon zu entschärfen, setzt Europa bereits auf starke Subventionen der Halbleiterindustrie. Angebissen hat hier nun Konkurrent Intel. So will das kalifornische Tech-Unternehmen zwei Chip-Fabriken in Magdeburg bauen. Fünf Milliarden Euro kommen dabei vom deutschen Staat. Ein Projekt, das vom Management der Infineon Aktie wohl genau beobachtet wird. Neben Deutschland will Intel auch in Polen, Italien und Spanien investieren. Europas Ziele sind ambitioniert: Der eigene Anteil am Weltmarkt der Chip-Produktion soll von zehn auf 20 Prozent verdoppelt werden. Damit ist ebenfalls klar, dass man auch danach weiter in globalen Abhängigkeiten agiert. Besonders die Region Asien wird im Sektor immer eine große Rolle spielen. Denn hier beträgt der Marktanteil heute satte 80 Prozent.
Infineon Aktie fährt weiter zweigleisig
Prognosen von Chip-Konzernen für das laufende Geschäftsjahr grenzen an Wahrsagerei. Derzeit erwartet Infineon „nur begrenzte Unterbrechungen in der weltweiten Versorgungssituation“. Und die hätten „keine Auswirkungen“ auf die eigenen Produktionskapazitäten. Als langfristige Anleger blicken wir natürlich weit über die Entwicklung in diesem Jahr hinaus. Die aktuellen großen Investitionen von Infineon zeigen, dass man weiter auch auf internationale Lieferketten vertraut. Für zwei Milliarden Euro will der Konzern eine neue Fabrik in Malaysia bauen. Zudem hat man im letzten September auf europäische Boden ein neues Werk eröffnet. In Villach entstand für 1,6 Milliarden Euro eine vollautomatisierte Fabrik. Ich persönlich halte den Ansatz des parallelen Ausbaus der lokalen wie globalen Kapazitäten für eine besonnene Reaktion auf die andauernde Krise. Zusätzlich agiert der Konzern in einem Umfeld, dem auch politisch eine hohe Relevanz zukommt. Für mich ist die Infineon Aktie daher weiter sehr interessant.
Julian besitzt keine der im Artikel erwähnten Aktien.